Ich war kürzlich auf dem Xperience Festival von Yoga Vidya in Bad Meinberg und durfte unglaublich viele schöne Erfahrungen sammeln.
Eine besonders bewegende war der große Frauenkreis am Sonntag. Mein zweiter dieses Jahr – den ersten besuchte ich vor ein paar Wochen in Heimatnähe. Und das war damals auch der erste überhaupt für mich.
Am Festivalsonntag waren wir viele, bestimmt achtzig Frauen, und unsere tantrisch-schamanische Lehrerin Kavita genauso begeistert von unserer Vielzahl wie ich. Gleich zu Beginn saßen wir im Kreis und harrten den Dingen, die da kommen sollten. Für etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen war es der erste Frauenkreis.
Wir sangen, wurden geräuchert und schickten unser Gewicht in die Erde, wir durften abgeben und leicht werden. Und Kavita sagte gleich zu Beginn:
Wir haben nur zwei Stunden, also haltet nichts zurück!
Keine Zeit für Schranken im Kopf, für “ich finde das komisch”, “ich trau mich nicht” oder für “meine Freunde würden mich auslachen”.
Unser Frauenkreis – unser rotes Zelt
Keine Zeit und auch gar kein Raum, denn den Raum gestalteten wir uns selbst. Sicher und füreinander. Es war unser Raum, in dem uns nichts passieren konnte. Unser sicheres rotes Zelt*. Ein Zuhause, eine womb cave. Wir alle waren Mütter, Schwestern und beste Freundinnen füreinander in diesen zwei Stunden.
Wir sprachen über die Verletzungen, die unsere Großmütter im Krieg erlitten hatten und die in unseren Zellen verankert sind. Da bekam ich eine vage Ahnung, woher meine Skepsis fremden Männern gegenüber rührt, obwohl ich persönlich nie einen körperlichen Übergriff erlebt habe. Mir kamen die Tränen. Seitdem ich “Vagina” von Naomi Wolff gelesen habe, bin ich für dieses Thema extrem sensibilisiert.
Wir schickten Gebete an unsere Ahninnen, Liebe und Heilung. Ich war sprachlos, ich fand keine Worte für das Leid, das ich in diesem Moment spürte, woher auch immer es kam.
Schwestern, Mütter und Freundinnen füreinander
Kavita thematisierte die Scham, die Frauen aus unterschiedlichsten Gründen heutzutage in sich tragen: körperlich, mental, emotional oder seelisch.
Wir fühlen uns nicht gut genug, nicht schön genug, müssen und wollen immer funktionieren und abliefern. Wir suchten nach Kontrolle und haben verlernt abzugeben. Wir sind die ganze Zeit dabei, die Bedürfnisse anderer zu erfüllen und gehen dabei selbst auf ganzer Strecke verloren. Wir kapseln uns von unserem Körper ab, verlieren die Verbindung zu unserem weiblichen Kern.
Da wir so viele waren und nicht genug Zeit gewesen wäre, damit jede in der großen Runde zu Worte käme, fanden wir uns in Paaren zusammen und durften miteinander unser eigenes größtes Schamthema erörtern. Und wieder liefen meine Tränen, bei der Geschichte, die mir erzählt wurde. Und wieder fand ich Weite und Liebe, als ich meine eigene Geschichte teilte.
Der men circle
Aber die größte Herausforderung folgte zum Schluss. Es fand zeitgleich ein Männerkreis statt und die beiden Lehrer, Kavita und Percy, hatten sich überlegt, beide Kreise am Ende zusammenzuführen. Natürlich nur, wenn man sich selbst emotional dafür bereit fühlte.
Ich wollte nicht. Etwas in mir weigerte sich, meinen sicheren Ort für eine offene Begegnung zu verlassen.
Und was hab ich getan?
Ich habe mich meinen Verurteilungen und Ängsten einfach in die Arme geworfen und bin trotzdem geblieben, weil ich wusste, dass mir nichts passieren kann.
Im Tantra ist das weibliche Prinzip das des Empfangens. Wir empfingen den Männerkreis also singend innerhalb unseres eigenen. Die Männer waren weniger und gingen innen nacheinander an uns vorbei, sodass wir mit jedem einen Blickkontakt austauschen konnten. Eine stille Begrüßung.
Und als alle einmal an uns vorbeigegangen waren, stand mir einer diesen Herren gegenüber. Ich hatte ihn auf dem Festival schon ein paar Mal gesehen, er war mir also nicht völlig fremd. Aber natürlich kannten wir uns nicht.
Ich versuchte Augenkontakt zu halten und merkte, wie ich innerlich überrollt wurde von meinen Anschuldigungen, von meiner Angst, meinen tief sitzenden Vorurteilen, von allem, was mich fremden Männern gegenüber verschlossen sein lässt.
So viel löste sich in mir und wirbelte durch mich hindurch. Und mein Gegenüber hielt den Blickkontakt mit einem herzlichen Lächeln und strahlte friedliche Akzeptanz aus. Er versuchte, einen Raum für mich zu halten.
Ich sehe dich.
Ich höre dich.
Du bist willkommen.
Sagten wir einander. Sagten sich alle Männer und Frauen in diesem Raum. Sollten wir uns im Alltag auch viel öfter sagen. Oder zumindest fühlen und leben. Solche Worte laut auszusprechen, ändert etwas in der eigenen Einstellung.
Anschließend umarmten wir uns und tanzten voller Freude, losgelöst und durcheinander.
Der ewige Kreis
Frauenkreise sind etwas Wundervolles. Sie bieten ein sicheres Feld, wo wir im Alltag oft keins haben. Wir leben dort ein reines Miteinander, kein Sticheln oder Stänkern, kein Verurteilen, Lästern oder Belächeln.
Aber existentiell war die Zusammenführung mit den Männern. Wenn wir solche Kreise immer nur getrennt abhalten, entstehen erneut zwei Lager, Abspaltung und Teilung. Erst wenn wir uns trauen, auch miteinander zu reden, lässt sich die Gesellschaft von dieser großen Lücke aus Feminismus, Unverständnis und fehlender Empathie zwischen uns heilen.
Und ich persönlich konnte meiner Angst ins Auge blicken. Ich durfte ihr begegnen und sie durfte da sein. Sie durfte sich in meinem Körper lösen und alles in Alarm versetzen, um anschließend zu realisieren, dass mir nur Liebe und Offenheit entgegenströmt. Dass mir nichts passiert.